Eisberg

  • von Meike Jobke
  • 04 Mai, 2018

Warum auch Eisberge Gefühle haben

Seit am 15. April 1912 Edward John Smith mit seiner Titanic gegen einen Eisberg setzte, haben diese einen denkbar schlechen Ruf. Ich halte dies für sehr ungerecht, denn es ist bekannt, dass diese stillen Schönheiten 90 Prozent ihrer selbst unter Wasser verstecken.

Während also Smith 1912 die Gesetze der Physik vergaß, vergessen heute viele Menschen, dass es mehr als das Sichtbare der Oberfläche gibt.Ein Eisberg ist nicht mit einem Mal da, er wächst langsam:In einer Umwelt, die so kalt und unwirtlich ist, dass kaum mehr Leben möglich ist, geht Wasser in den festen Aggregatszustand über, es entstehen zuerst kleine Eisklumpen, die sich zu Platten und Schollen zusammenfinden und nach und nach wächst der Eisberg zu seiner mächtigen Größe heran. Im Vergleich zu den bis zu -80 Grad der Luft, ist es unter Wasser mit etwa 2 Grad geradezu angenehm warm. Ist es also dem Eisberg zu verdenken, dass er nur den kleinsten Teil seines Daseins weiter in die Kälte streckt und alles andere im warmen Wasser vor der Kälte der Luft versteckt?

Besonders im beruflichen Umfeld treffen wir heute leider sehr häufig auf arktisches Klima, das geprägt von Narzißmus, Eitelkeit, Gier und Anstandslosigkeit dazu führt, dass wir frieren. Und wenn es kein Ausweichen für uns gibt, dann klumpt sich auch bei uns etwas immer mehr zusammen, viele kleine Erlebnisse lassen uns erstarren und unser Eisblock wächst und wächst. Der kälteste und härteste Teil schaut aus dem Wasser, aber darunter, für andere nicht sichtbar, ist das, was wir noch schützen können, selbst wenn es auch schon zu Eis erstarrt ist.

Wenn wir also einmal einem Eisberg begegnen, dann sollten wir nicht urteilen, sondern fragen, was ihn dazu gemacht hat und Respekt vor seinem Tiefgang haben.


Bildquelle:  Flickr, hochgeladen durch Derek Keats, https://www.flickr.com/photos/dkeats/35149598693/in/album-72157686332401395 (cc by 2.0)
von Meike Jobke 26. Juni 2018
Im Wahlkampf werden Politiker gerne nach dem aktuellen Preis eines Pfunds Butter gefragt und die Boulevardpresse titelt hämischen Spott, wenn der Preis nicht exakt getroffen wird. Aus Erfahrung kennen wir den Preis und weil wir diese Erfahrung Tag für Tag machen, meinen wir nicht nur den Preis, sondern auch den Wert zu kennen. Den Wert der Butter, eines Liters Benzin; wir kennen den Wert einer Kinokarte, eines Urlaubs und den Wert eines Autos. Und weil wir tagtäglich nicht nur Erfahrungen im Supermarkt und an der Kasse sammeln, sondern auch mit Menschen, meinen wir, dass wir auch den Wert eines Menschen kennen: wir kennen Self-made-Millionäre und Nichtsnutze, Gewinner und Verlierer. Und schauen wir in die Vergangenheit oder in andere Gegenden, dann gibt es Menschen, die sogar wissen wollen, dass es Menschen gibt, die wenig oder nichts wert sind.

Wie kommt man auf die Idee, dass ein Mensch nichts wert ist oder dass es überhaupt eine Maßeinheit für den Wert eines Menschen geben kann? Fragt man eine Mutter, die ihr Neugeborenes zum ersten Mal im Arm hält, nach dem Wert dieses kleinen Geschöpfs, so wird sie sagen, dass dieses Kind wertvoller als alles andere in der Welt ist. Und vermutlich wird sie lachend den Kopf über diese absurde Frage schütteln.

Verliert ein Mensch im Laufe seines Lebens an Wert? Auch diese Frage ist absurd, und dennoch leben wir danach, weil wir Wert mit Leistung verwechseln. Der andauernde Vergleich soll einen Wert ermitteln. Nun ist das eine Krux mit dem Vergleichen: wer vergleicht,  hat entweder den Wunsch sich schlecht zu fühlen oder er möchte sich besser fühlen, weil er auf den anderen herabblickt und sich seines Gewinnens sicher ist. Kant löst diesen Knoten mit einer ganz einfachen Feststellung auf. Der Wert eines Menschen ist seine Würde. Wer vergleicht, stellt die Würde des anderen in Frage. Wer einen anderen als weniger wertvoll erachtet, nimmt ihm seine Würde. Diese Würde haben wir von unserem ersten Augenblick an bis zum letzten, wir sind wertvoll vom Anfang bis zum Ende. Dies zu verinnerlichen und auch in den Momenten des Scheiterns, der Schwäche und Hilflosigkeit zu sehen, ist eine der großen Aufgaben.
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