Vergißmeinnicht

  • von Meike Jobke
  • 28 Apr., 2018

Ein Nachruf auf jemanden, der noch da ist

Irgendwie war Klaus immer schon da. Ich kannte Klaus schon als Kind ohne ihn zu kennen. Sein Name war mir immer schon geläufig, und dennoch hätte ich kaum etwas über ihn sagen können, wenn mich jemand gefragt hätte.

Irgendwann zogen Klaus und seine Frau in unsere Nähe und als fleißige Kirchgänger, sahen wir uns also jede Woche. Er war einer dieser Menschen, die einfach da sind. Die mit einem warmen Lächeln und Freude in den Augen, den Sitzplatz neben sich anbieten. Er war ein Teil des Nests, in das man sich gerne kuschelt. Aber gekannt habe ich ihn dennoch nicht.

Eines Sonntags fielen meinem Mann und mir auf, dass Klaus nicht gesund aussah und seine Frau berichtete uns besorgt, dass Untersuchungen anstünden. Und dann ging alles sehr schnell. Viel zu schnell. Innerhalb kürzester Zeit verschlechtete sich sein Gesundheitszustand dramatisch. Er musste in die Klinik. Zu dieser Zeit war ich schwanger mit unserem ersten Kind. Meine Frauenärztin hatte ihre Praxis direkt nebem dem Krankenhaus und so entschlossen wir uns, beim nächsten Kontrolltermin in der Klinik eine kleine Karte abzugeben. An der Klinikpforte schickte man uns für die Karte auf Station und als wir die Stationsschwester nach unserem Bekannten fragten, wollte sie die Karte nicht annehmen, sondern bat uns, die Karte persönlich vorbei zu bringen. Nun gab es also kein Zurück mehr.

Ziemlich unsicher betraten wir das Krankenzimmer, denn obwohl mein Mann viele Gottesdienste neben Klaus und seiner Frau gesessen hatte und manch liebes Wort gewechselt wurde - so richtig kannten wir uns immer noch nicht und wir wussten nicht, ob er sich über den Besuch freuen würde. Also klopften wir zaghaft und traten ein. Klaus lag im Bett, seine liebe Frau stand am Fußende. Als Klaus uns sah, strahlte er und freute sich so sehr, dass für einen Moment alles vergessen war. Klaus berichtete, dass er vielleicht bald nach Hause entlassen würde und wir freuten uns über diese gute Nachricht. Ich weiß nicht mehr über was wir uns noch unterhalten haben, ich erinnere mich noch an diese Freude, die im Raum stand. Wir fühlten uns nach dem Besuch recht glücklich.

Wenige Tage später verstarb Klaus. Das ist nun ziemlich genau sechs Jahre her und noch heute haben wir uns nicht daran gewöhnt, dass Klaus, der immer da war, mit einem Mal weg war.

Wenn ein Mensch stirbt, so heißt es, lebt er in den Menschen weiter, die ihn liebten. Für uns ist er keine Erinnerung, die langsam verblasst, denn sein liebevolles Wesen hat in uns etwas berührt und unser eigenes Verhalten geprägt. Und wenn wir heute versuchen, wohlwollend und liebevoll mit unseren Mitmenschen umzugehen, dann schwingt unser Klaus immer mit.

Dies war nun also ein kleiner Nachruf über einen Menschen, den wir kaum kannten, aber der tiefe Spuren hinterlassen hat. Ein Nachruf, der längst überfällig war.
von Meike Jobke 26. Juni 2018
Im Wahlkampf werden Politiker gerne nach dem aktuellen Preis eines Pfunds Butter gefragt und die Boulevardpresse titelt hämischen Spott, wenn der Preis nicht exakt getroffen wird. Aus Erfahrung kennen wir den Preis und weil wir diese Erfahrung Tag für Tag machen, meinen wir nicht nur den Preis, sondern auch den Wert zu kennen. Den Wert der Butter, eines Liters Benzin; wir kennen den Wert einer Kinokarte, eines Urlaubs und den Wert eines Autos. Und weil wir tagtäglich nicht nur Erfahrungen im Supermarkt und an der Kasse sammeln, sondern auch mit Menschen, meinen wir, dass wir auch den Wert eines Menschen kennen: wir kennen Self-made-Millionäre und Nichtsnutze, Gewinner und Verlierer. Und schauen wir in die Vergangenheit oder in andere Gegenden, dann gibt es Menschen, die sogar wissen wollen, dass es Menschen gibt, die wenig oder nichts wert sind.

Wie kommt man auf die Idee, dass ein Mensch nichts wert ist oder dass es überhaupt eine Maßeinheit für den Wert eines Menschen geben kann? Fragt man eine Mutter, die ihr Neugeborenes zum ersten Mal im Arm hält, nach dem Wert dieses kleinen Geschöpfs, so wird sie sagen, dass dieses Kind wertvoller als alles andere in der Welt ist. Und vermutlich wird sie lachend den Kopf über diese absurde Frage schütteln.

Verliert ein Mensch im Laufe seines Lebens an Wert? Auch diese Frage ist absurd, und dennoch leben wir danach, weil wir Wert mit Leistung verwechseln. Der andauernde Vergleich soll einen Wert ermitteln. Nun ist das eine Krux mit dem Vergleichen: wer vergleicht,  hat entweder den Wunsch sich schlecht zu fühlen oder er möchte sich besser fühlen, weil er auf den anderen herabblickt und sich seines Gewinnens sicher ist. Kant löst diesen Knoten mit einer ganz einfachen Feststellung auf. Der Wert eines Menschen ist seine Würde. Wer vergleicht, stellt die Würde des anderen in Frage. Wer einen anderen als weniger wertvoll erachtet, nimmt ihm seine Würde. Diese Würde haben wir von unserem ersten Augenblick an bis zum letzten, wir sind wertvoll vom Anfang bis zum Ende. Dies zu verinnerlichen und auch in den Momenten des Scheiterns, der Schwäche und Hilflosigkeit zu sehen, ist eine der großen Aufgaben.
von Meike Jobke 21. Mai 2018
Warum unser Bauchgefühl kein Spielverderber ist.
von Meike Jobke 4. Mai 2018
Warum die Macht der Worte zerstörerisch sein kann
von Meike Jobke 4. Mai 2018
Warum auch Eisberge Gefühle haben
von Meike Jobke 30. April 2018
Warum wir nicht immer auf Aristoteles hören müssen
von Meike Jobke 27. April 2018
Das Universum erfüllt mir alles Wünsche?
von Meike Jobke 27. April 2018
Der erste Schritt ist die Hälfte des Wegs. Oder: warum sabotieren wir uns selbst?